Online-Demokratiekonferenz: Moderne Erscheinungsformen des Antisemitismus (05.11.20)

Am 5. November um 19 Uhr fand die Demokratiekonferenz der „Partnerschaft für Demokratie“ in Darmstadt im Jahr 2020 statt, an der ca. 35 Personen teilnahmen. Die Veranstaltung war zentraler Teil der „Darmstädter Demokratiereihe 2020“. Das Thema waren moderne Erscheinungsformen von Antisemitismus. Aufgrund der Corona-Pandemie war das Format eine Online-Podiumsdiskussion mit Referent:innen aus verschiedenen Bereichen: Steve Landau, Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde in Wiesbaden, gab einen Einblick in das Gemeindeleben und die verschiedenen Erfahrungen der Gemeindemitglieder mit Antisemitismus; Tom Uhlig, Bildungsreferent bei der Bildungsstätte Anne Frank, berichtete u.a. über die pädagogische Arbeit und Anfragen zum Thema Antisemitismus; Julia Bernstein, Professorin am Fachbereich Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Aplied Sciences, gab einen kurzen Einblick in ihre Studie zu Antisemitismus an Schulen in Deutschland. Moderiert wurde die Veranstaltung von Julia Müller, Bildungsreferentin beim Netzwerk Demokratie und Courage.

Begrüßt wurden die Anwesenden durch Darmstadts Oberbürgermeister Jochen Partsch, der in seiner Videogrußbotschaft die Wichtigkeit des gesellschaftlichen Engagements gegen Antisemitismus vor dem hochaktuellen Hintergrund antisemitischer Verschwörungsmythen sogenannter Corona-Kritiker herausstellte. Antisemitischen Worten folgen Taten, wie in Darmstadt der Angriff und die Beschädigung der Menora auf dem Vorplatz der Gedenkstätte Liberale Synagoge in der Nacht zum 16. Juni dieses Jahres zeigten.

Bildungsreferent Tom Uhlig  berichtete, dass aktuell insbesondere antisemitischer Verschwörungsglauben und der Umgang hiermit in der pädagogischen Praxis ein wichtiger Fokus für die Bildungsstätte Anne Frank sei. Allerdings betonte er, dass über diese Entwicklungen  hinaus Antisemitismus in breiten Teilen der Gesellschaft fest verankert sei. Auch antisemitische Verschwörungsideologien seien nicht erst seit Beginn der Corona-Pandemie verbreitet.

Im Anschluss berichtete Steve Landau über Erfahrungen der Gemeindemitglieder mit Antisemitismus. Hierbei betonte er, dass die jüdische Gemeinde nicht auf das Thema Antisemitismus reduziert werden sollte, sondern vor allem jüdisches Leben in Deutschland praktiziere. Hierbei verwies er u.a.  auf eine Reihe von Veranstaltungen im nächsten Jahr zur Feier von 1700 Jahren jüdisches Leben in Deutschland. Zu Erfahrungen mit Antisemitismus seiner Gemeindemitglieder berichtete er, dass eine heterogene jüdische Gemeinde selbstverständlich  auch keine homogene Sichtweise auf Antisemitismus habe: Während einige Mitglieder regelmäßig Antisemitismus erlebten, würden andere Mitglieder dies nicht so wahrnehmen. Dies sei sehr unterschiedlich und dürfe nicht verallgemeinert werden.. Der Antisemitismus ist jedoch so stark verbreitet, dass die Mitglieder der Gemeinde in Wiesbaden  keine Kippa offen auf der Straße trügen, um nicht als Juden erkannt zu werden.

Herr Landau betonte, dass es nicht die Aufgabe von Jüdinnen und Juden sei, der Mehrheitsgesellschaft zu erklären, wie sie mit Antisemitismus umzugehen habe, sondern das sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Als dritte Referentin gab Julia Bernstein einen Einblick in ihre Studie zu Antisemitismus an Schulen in Deutschland. Sie berichtete davon,  wie weit verbreitet Antisemitismus in seinen unterschiedlichen Erscheinungsformen an deutschen Schulen ist. Ein Problem, das sie beispielhaft herausstellte, betrifft den Umgang der Lehrkräfte mit Antisemitismus. So würden Lehrkräfte antisemitische Äußerungen allzuoft bagatellisieren, indem sie betonten, dass die Schülerin oder der Schüler „es ja nicht so meinen“. Nicht selten gelte Lehrkräften der Vorwurf des Antisemitismus schlimmer als der Antisemitismus.

Im Anschluss diskutierten die Teilnehmenden des virtuellen Podiums über mögliche Handlungsstrategien gegen Antisemitismus, insbesondere in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Hieraus entwickelte sich u.a.eine Diskussion über die Möglichkeiten, innerhalb des sogenannten Kontroversitätsgebots des „Beutelsbacher Konsens“ („Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen.“) das Thema Antisemitismus zu behandeln. In der Diskussion wurde der Standpunkt vertreten, dass mit dem Kontroversitätsgebot nicht gemeint sei, dass Positionen, die sich gegen die Demokratie und Menschenrechte richten, im Sinne eines politischen „Neutralitätsgebots“ von der Lehrkraft als akzeptable Alternativen präsentiert werden müssen. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall, Pädagog:innen „sollen rassistische und rechtsextreme Positionen von politischen Parteien kritisch thematisieren“.Dies stellt „einen wesentlichen Bestandteil des Auftrags schulischer und außerschulischer Bildung dar“*.

* Zum Weiterlesen: Das Neutralitätsgebot in der Bildung. Analyse des Deutschen Instituts für Menschenrechte



Veranstaltungsreihe
Die Darmstädter Demokratiereihe 2020 wird im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ von der Darmstädter Partnerschaft für Demokratie durchgeführt. Im Fokus der Reihe stehen Ursachen und Wirkungen demokratiefeindlicher Tendenzen und die damit verbundenen Herausforderungen für die Kinder- und Jugendarbeit, Bildungseinrichtungen, aber auch für Politik und Gesellschaft in der Wissenschaftsstadt Darmstadt.